Social Media und Wissenschaft haben noch immer nicht so richtig zueinandergefunden. Dabei könnte moderne Influencer-Kommunikation dabei helfen, Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu tragen.
Influencer-Marketing bedeutet, die Bekanntheit und Reichweite sogenannter Influencer zu nutzen, um Produkte zu bewerben. Im Digital-Marketing stehen Social-Media-Personalities vor allem bei Markenartikel-Herstellern derzeit hoch im Kurs. Dafür, dass in Blog-, Instagram- und Facebook-Postings Produkte präsentiert werden — nicht immer als Werbung gekennzeichnet — bezahlen Marketing-Abteilungen und Werbeagenturen viel Geld. In werberelevanten Zielgruppen wird die Social Media Prominenz als authentischer Werbeträger wahrgenommen und akzeptiert. Als Multiplikatoren und Meinungsführer stärken sie innerhalb ihres Netzwerks die Reputation von Unternehmen. So findet mal mehr und mal weniger subtile Markenkommunikation — verpackt als modisches „Storytelling“ — den Weg auf die Smartphones vor allem junger Zielgruppen, ohne dabei auf den allerersten Blick wie Markenkommunikation auszusehen.
Ganz allgemein ist Influencer-Marketing nichts Verwerfliches, wenn sein werblicher Charakter transparent gemacht wird. Bei Auswahl der richtigen Influencer erlaubt Influencer-Marketing zielgruppengerecht zu kommunizieren und relevante Botschaften durch relevante Persönlichkeiten vermitteln zu lassen. Nichts anderes versucht professionelle Kommunikationsarbeit seit langer Zeit, wenn sie Prominente als Testimonials in ihre Kampagnen einbindet.
Funktioniert das auch in der Wissenschaftskommunikation?
Die Vermittlung von Wissenschaft bedient sich anderer Vehikel und Mechanismen als die Vermittlung von Produkt- und Markenbotschaften. Die komplexen Ergebnisse einer aufwändigen Studie lassen sich schließlich nicht so vermitteln wie ein neues Duschgel, ein neuartiges Wäsche-Parfum oder die Herbstkollektion vom Fast-Fashion-Konzern.
Allerdings sind auch Menschen, die sich für Wissenschaft interessieren, Social Media Nutzer. Wie andere Zielgruppen auch, konsumieren sie Blogs, Facebook, Instagram, Youtube und Co. Auch Wissenschaftsaffine werden dort mit Werbebotschaften bombardiert. Wissenschaftskommunikation findet im Social Web allerdings noch immer nur sehr wenig statt. In Form von Influencer-Kommunikation schon gar nicht. Dabei ließe sich die Reputation wissenschaftlicher Einrichtungen und Akteure in der Kommunikation gut mit der Reputation passender Influencer in ihren jeweiligen Netzwerken und Zielgruppen verbinden. Influencer bieten für die Kommunikation über Wissenschaft interessante Potenziale.
Wieso nutzt die Wissenschaft Social Media kaum?
Am Anfang jeder professionellen Kommunikationsstrategie stehen immer dieselben Ausgangsfragen: Was gilt es zu vermitteln? Wer soll erreicht werden? Was sind die geeigneten Kommunikationsmittel? In den allermeisten Fällen führen diese Fragen dazu, dass Social Media ein Teil der Kommunikationsstrategie sein sollte. In der deutschsprachigen wissenschaftlichen Community ist diese Erkenntnis inzwischen angekommen. Die Umsetzung erfolgt allerdings eher zögerlich. Ein Grund dafür ist sicher auch mangelndes Interesse der wissenschaftlichen Community, über die eigene Bubble hinaus zu kommunizieren.
Die Deutschen Wissenschaftsakademien (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften) haben im Juni 2017 bereits die zweite Studie (Download) inklusive Handlungsempfehlungen zum Thema Wissenschaftskommunikation und Social Media herausgegeben. Die Studie ist geprägt von Skepsis gegenüber Social Media. „Bislang, so scheint es, ist die Wissenschaft weitgehend überfordert damit, die Auswirkungen der neuen Medienwelt auf ihr eigenes Tun und auf die Wissenschaftskommunikation zu verstehen.“ fasst der Wissenschaftsjournalist Reiner Korbmann die Studie in einem lesenswerten Artikel zusammen. Darin stellt er fest, dass die Studie der Wissenschaftsakademien die Wissenschaft gleichzeitig als Wächter der Demokratie begreift, aber den Ort, an dem heutzutage viel Debatte und Diskurs stattfinden — nämlich Social Media –als kaum geeignet empfindet, sich in Diskussionen einzubringen. In der Studie wird nach Qualitätsstandards für die Social Media Nutzung verlangt — fast so als müsste ein Facebook-Posting behandelt werden wie ein wissenschaftliches Paper. Es wird die Wissenschaft dazu aufgefordert, die Kosten und Nutzen von Social Media genau abzuwägen — so als gelte das nicht auch für jede andere Art von Wissenschaftskommunikation. Es wird vor einer Vermischung von „faktenbasierter“ Kommunikation und Wissenschaftsmarketing gewarnt — so als könnte nicht gerade die Faktenbasiertheit zum Thema von Wissenschaftsmarketing werden. Unterm Strich: Die Wissenschaft fürchtet sich davor, den Elfenbeinturm zu verlassen. Influencer können ihr dabei helfen, Social Media für die Wissenschaftskommunikation zu nutzen.
Wie könnte die Wissenschaft Influencer strategisch einsetzen?
Die Frage, in welcher Form Wissenschaftskommunikation auf Influencer zurückgreifen kann, ist immer abhängig von der jeweiligen Zielgruppe. Wer soll erreicht werden? Die breite Öffentlichkeit? Eine bestimmte Altersgruppe? Menschen in einer bestimmten Region? Studieninteressierte? Studierende? Junge Forscherinnen und Forscher? Nutzerinnen und Nutzer bestimmter Technologien? Professionals in einer bestimmten Branche? In fast jeder Zielgruppe oder Teilöffentlichkeit gibt es Multiplikatoren und Kommunikatoren mit Reputation, die für die Wissenschaftskommunikation genutzt werden könnten. Geeignete Influencer lassen sich nicht durch standardisierte Verfahren finden oder gar per Software ermitteln. Um geeignete Influencer zu finden, sind Expertise und Recherche notwendig. Wenn geeignete Influencer gefunden sind — dann lassen sich vielfältige inhaltliche Formate entwickeln, um wissenschaftliche Themen im Netzwerk der Influencer zu platzieren.
Viele Themen der Wissenschaft bieten problemlos die Möglichkeit, an Alltags-Themen anzuknüpfen. Ernährung, Mobilität, Kultur — das sind riesige Themengebiete, die nicht nur in der Wissenschaft behandelt werden, sondern auch Thema von Social Media Kommunikation sind. Eine Aufgabe von Wissenschaftskommunikation sollte es sein, sich hier einzubringen. Glaubwürdige Influencer können dabei helfen. Nicht nur, indem sie auf aktuelle Forschung Bezug nehmen und Erkenntnisse verbreiten, sondern zum Beispiel auch, indem sie aus der wissenschaftlichen Praxis berichten.
Social Media Kampagnen können mehr als nur Werbung
Es gibt Beispiele dafür, dass Influencer-Marketing nicht nur dann funktioniert, wenn es um Konsumgüter geht. Zum Beispiel aus dem Non-Profit-Bereich. Im Sommer 2014 startete die amerikanische ALS-Association, eine NPO, die sich dem Kampf gegen die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose verschrieben hat, die „Ice-Bucket-Challenge“. Die Challenge, bei der sich weltweit Menschen dazu aufforderten, sich mit einem Eimer Eiswasser zu übergießen und ein Video davon zu posten, hatte das Ziel, Bekanntheit für die Nervenkrankheit ALS zu schaffen. Sie wurde auch durch die Teilnahme unzähliger prominenter Influencer zum Erfolg. 2016 sorgte eine französische Instagram-Kampagne für weltweite Überraschung. Der Account der fiktiven Pariserin Louise Delage postete über Wochen hinweg 150 Fotos aus dem vermeintlichen Alltag der jungen Frau und sammelte damit über 65.000 Follower und 50.000 Likes, bevor schließlich aufgeklärt wurde, dass Louise Delage gar nicht existiert. Es ging in den 150 Fotos darum, auf die Verbeitung von Alkoholismus aufmerksam zu machen. Was den Followern des Accounts kaum aufgefallen war: In jedem einzelnen Posting war mindestens ein alkoholisches Getränk zu sehen. Hinter der Kampagne mit dem Titel „Like my Addiction“ steckten die Organisation Addict Aide und die Agentur BETC.
Auch wissenschaftliche Inhalte lassen sich auf unterhaltsame Weise und mit der Hilfe von Influencern kommunizieren. Natürlich gilt das nicht für alle Inhalte von Wissenschaftskommunikation. Und ganz wichtig ist dabei die Authentizität. Wenn Politikerinnen und Politiker in einer Talk-Show mit einer Studie herumwedeln und aus ihr zitieren, dann kann das belehrend wirken. Wenn sich Wissenschaft aber durch geschickten Einsatz von Influencern in jene Medien, die Menschen im Alltag nutzen, einschleicht, kann sie an Relevanz in der digitalen Debatte gewinnen. Diesen Versuch sollte die Wissenschaftskommunikation dringend unternehmen.
Text: Thomas Stollenwerk, September 2017